Kerngedanken des Säkularen Buddhismus

Während alle säkularen Buddhisten eine skeptische Sicht auf übernatürliche Wesenheiten (z.B. Devas) und Prozesse (z.B. Wiedergeburt) teilen, die für den traditionellen Buddhismus von zentraler Bedeutung sind, gibt es unter den säkularen Buddhisten ein breites Spektrum von Ansichten über Glauben, Sichtweisen und Praktiken. Es gibt zwar keine säkulare buddhistische „Orthodoxie“, aber alle säkularen Buddhisten können den folgenden Grundauffassungen folgen:

Der Buddha war eine historische Person

Säkulare Buddhisten gehen davon aus, dass Gotama, der später Buddha genannt wurde, ein Mensch war, der eine neue Lebensweise in der Welt verwirklichte und lehrte, die menschliches Gedeihen fördert. Obwohl er ein großer Lehrer und Meditierender war und ein vorbildliches ethisches Leben führte, besaß er keine übernatürlichen Kräfte und beanspruchte auch keine für sich.

• Gotamas wesentliche Einsichten sind zu bewahren, kulturelle, historische Beifügungen können über Bord geworfen werden

Säkulare Buddhisten sind der Überzeugung, dass die ursprünglichen Einsichten Gotamas entscheidend zur Förderung menschlichen Gedeihens und einer gerechteren Gesellschaft sind. Diese Einsichten wurden jedoch in eine institutionalisierte, hierarchische und andersweltliche Religion umgeformt, als Gotamas Lehren an bestehende indische und andere asiatische Sichtweisen und Glaubensvorstellungen angepasst wurden. So gesehen ist der säkulare Buddhismus das, was übrigbleibt, NACHDEM die kulturellen Beifügungen von Gotamas ursprünglichen Einsichten abgetragen worden sind. Aus diesem Grund nennt Stephen sein 2015 erschienenes Buch „Jenseits des Buddhismus“.

• Buddhas Lehre (der Dharma) ist ein pragmatischer, ethischer Weg – keine zu glaubende Wahrheit

Säkulare Buddhisten vertreten die Auffassung, dass Gotama keine „Wahrheiten“ über die Beschaffenheit Welt erkannt hat, sondern dass er uns vielmehr Praktiken und Einsichten vermittelt hat, die uns befähigen, in einer unsicheren Welt geschickt, weise und mit Mitgefühl für sich selbst und andere zu leben.
Indem wir zu den Kernprinzipien Bedingtheit und Nicht-Reaktivität zurückkehren und auf deren Basis eine kontemplative, philosophische und ethische Praxis entwickeln, die unser Leben in unserer modernen Welt bestmöglich unterstützt, können wir uns und unsere Gesellschaft in einem kontinuierlichen Prozess bestmöglich entwickeln.
Die Fixierung auf den Wahrheitsanspruch begrenzt und verzerrt unsere Fähigkeit, die sinnlich erfahrbare Ganzheitlichkeit und Komplexität des Lebens zu verstehen. Das Loslassen von Ansichten und Meinungen – selbst buddhistischen – macht uns frei, um uns auf das große Ganze einzulassen, das fließend, mehrdeutig und nicht auf Konzepte reduzierbar ist.

• Der Weg dient auch dazu, eine Kultur des Erwachens zu fördern

Wir sind Wesen auf der Suche nach Sinn, Werten und Zielen im Leben. Säkulare Buddhisten schätzen die Meditationspraxis und verstehen die Notwendigkeit zur Veränderung auf einer „inneren“ Ebene. Der Dharma ist der Rahmen für Gedeihen, indem er uns Werte, Inspiration und Praktiken bietet, die uns hilfreich sind, um unsere Vision der Person, die wir werden wollen, zu verwirklichen. Gleichermaßen betonen säkulare Buddhisten, dass es wichtig ist, demokratische Gemeinschaften (oder Sanghas) aufzubauen, um das menschliche Gedeihen zu fördern.

Anmerkung zum Begriff menschliches Gedeihen

Da der Begriff “menschliches Gedeihen” in diesem Kurs oft verwendet wird, ist es wichtig, seine Bedeutung zu erklären. Der Begriff des menschlichen Gedeihens ist eng mit dem Konzept der Eudaimonia verbunden, einem Schlüsselbegriff der altgriechischen Moralphilosophie. Eudaimonia bezeichnet ein wertbeladenes Konzept des Glücks, so etwas wie „wahres“ oder „wirkliches“ Glück oder „die Art von Glück, die es wert ist, sie anzustreben oder zu haben“. Es ist die Art von Glück, die entsteht, wenn man das Leben in einer ethischen und sinnvollen Weise lebt. Diese Vorstellung von Glück ist eine völlig andere als der gängige Glücksbegriff im Sinne von Wohlfühlen oder dem Erleben angenehmer emotionaler Zustände.

Für säkulare Buddhisten besteht das höchste Gut oder „summum bonum“ für den Menschen darin, zu gedeihen, wahres Glück zu erlangen, indem wir unsere Fähigkeiten zu Mitgefühl, Weisheit und Gewahrsein als Teil der Vierfachen Aufgabe kultivieren. (Siehe Lektion 3.)

Was der säkulare Buddhismus nicht ist


Es gibt zwei verbreitete Missverständnisse oder Vorurteile über den säkularen Buddhismus:

  1. Der säkulare Buddhismus ist ein Angriff auf “die Religion”, Buddha und “den Buddhismus” oder eine Form des militanten Atheismus und
  2. Der säkulare Buddhismus ist eine Selbsthilfetechnik, genau wie einige der Formen der säkularen Achtsamkeit, die in der heutigen Gesellschaft sehr populär geworden sind.

In Jenseits des Buddhismus erklärt Stephen Batchelor, warum diese verbreiteten Ansichten über den säkularen Buddhismus falsch sind.
Stephen weist darauf hin, dass es zwei Auffassungen von Religion gibt. Einerseits kann Religion definiert werden als eine Beschäftigung mit höchsten Werten und eine tiefe Auseinandersetzung mit Fragen über Leben und Tod. Auf der anderen Seite beinhaltet Religion die formalen Mittel, um mit diesen Anliegen in Verbindung zu treten, wie etwa heilige Texte, Rituale und die Institutionen einer bestimmten Religion.
„Säkulare Kritiker tun religiöse Institutionen und Glaubensätze üblicherweise als überholt, dogmatisch, repressiv und dergleichen ab und vergessen dabei die tiefen menschlichen Anliegen, deretwillen sie ursprünglich geschaffen wurden.“ (JB S. 31).
In diesem Sinne sind säkulare Buddhisten in erster Linie religiös, weil sie sich mit den letztendlichen Werten und den grundlegenden Fragen von Leben und Tod befassen.


Gleichzeitig betrachten säkulare Buddhisten den Dharma nicht nur als eine Technik zum Abbau von Stress, sondern vielmehr als einen herausfordernden ethischen Weg, der auf menschliches Gedeihen ausgerichtet ist und auf der vollen Erfahrung des Mysteriums und der Ungewissheit unseres Lebens beruht. Wie Stephen sagt:
„Ich stelle mir keinen Buddhismus vor, der alle Spuren von Religiosität ablegen will. Ich strebe keinen Dharma an, der wenig mehr als eine Anzahl von Selbsthilfetechniken ist, die uns helfen, in einer kapitalistischen Konsumgesellschaft gelassener und effektiver zu funktionieren.“ (JB S. 34).
Anstatt also eine militante, antireligiöse Sichtweise oder eine Selbsthilfetechnik zu sein, verlangt der säkulare Buddhismus uns ab, dass wir ein Leben führen, in dem die Grundwerte Mitgefühl, Weisheit und Bewusstsein so weit wie möglich verwirklicht werden.