Was ist Tanha?
Tanha wird meist übersetzt als Verlangen, Anhaften oder Festhalten. Es wirkt wie Hunger oder Durst auf uns – eine unruhige Sehnsucht, die uns antreibt. Im Buddhismus gilt tanha als eine der Hauptursachen für dukkha, das Leiden.
Dieses Anhaften ist keine abstrakte Idee – wir begegnen ihm täglich. Immer dann, wenn unsere Aufmerksamkeit „einrastet“ und wir gedanklich um ein bestimmtes Thema, einen Wunsch oder eine Abneigung kreisen. Wenn etwas übermäßig wichtig wirkt und unser Wohlbefinden scheinbar davon abhängt.
Wenn Herz und Geist eng werden: Wie sich Tanha im Alltag zeigt
Der Buddha beschreibt tanha als ein Dursten nach Erfahrungen, nach dem Wunsch, jemand zu sein – oder nicht zu sein. Es vermischt sich mit Verlockung und innerem Drängen, treibt uns hin und her.
Das kennen wir alle:
- Der Gedanke, dass „noch mehr“ möglich sein müsste, dass das Leben uns etwas Besseres bieten sollte.
- Die Flucht in Zukunftsbilder: „Wenn nur… dann wäre alles gut.“
- Die Fixierung auf ein einziges Thema, die andere Dinge ausblendet. Wir entwickeln einen regelrechten Tunnelblick.
- Die innere Unruhe etwas tun, denken, sagen zu müssen.
Wir spüren es nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper: Spannung, Nervosität, ein Ziehen, das keinen Frieden findet – als würde sich unser ganzes Wesen von „Hier nach Da“ bewegen, immer auf der Suche nach einem besseren Erleben.
Die drei Arten von Tanha
Kama-Tanha: “Ich will etwas erleben”
Wir sehnen uns nach Erlebnissen, Erfahrungen oder besonderen Gefühlen: das neue Sportgerät, die ersehnte Partnerschaft, der Urlaub in der Ferne oder sogar ein „perfekter“ meditativer Zustand. Wir glauben: Dann wäre ich endlich zufrieden. Doch wie lange hält dieses Gefühl? Und was bleibt auf der Strecke, wenn wir ständig nach dem nächsten Erlebnis jagen?
Bhava-Tanha: “So will ich sein / werden”
Wir möchten jemand sein oder werden: erfolgreich, beliebt, stark, ausgeglichen. Wir malen uns Ideale aus und arbeiten hart daran – mit Diäten, Fitnessprogrammen oder Selbstoptimierung. Dabei vergessen wir leicht, dass wir niemals nur dieses Ideal sein können. Unsere Lebendigkeit liegt gerade in unserer Vielschichtigkeit und Veränderlichkeit, nicht in einem starren Bild.
Vibhava-Tanha: “Das will ich nicht sein und erleben”
Es gibt eine Menge, was wir nicht erleben wollen: von unangenehmen Gefühlen über Konflikte, Kränkungen oder Verluste. Manchmal wünschen wir mit aller Kraft dem entkommen zu können, manchmal sogar, uns selbst entkommen zu können. Diese Tendenz zeigt sich auch in der Form des inneren Kritikers, dem ständigen inneren Urteil: „So nicht – du musst anders sein.“ Doch im Wegstoßen dessen, was da ist, verlieren wir oft den Kontakt zu dem, was wir wirklich wollen.
Warum Loslassen so schwer ist
„Lass doch einfach los!“ – ein wohlmeinender Satz, den wir sicher alle gehört haben. Doch meist merken wir schnell: So einfach ist es nicht. Und schon entsteht der doppelte Vorwurf – wir halten fest, obwohl wir wissen, dass es uns nicht guttut, und wir schaffen es nicht, aufzuhören.
Im Buddhismus wird dieses innere Ringen so erklärt: Es ist nicht das „Ich“, das festhält oder loslässt. Der Buddha spricht vom citta, dem Herz-Geist – was wir heute vielleicht Psyche oder Nervensystem nennen würden. Es kann seinen Griff um etwas erst dann lockern und freigeben, wenn es sich sicher, genährt und verbunden fühlt. Ein Mangel, Druck und Stress hingegen verstärken das Festhalten.
Der innere Kampf mit tanha: Erwartungen, Druck und ständiges Wollen
Das Leben bringt Enttäuschung, Verlust und unerfüllte Erwartungen – das ist dukkha. Oft antworten wir darauf mit tanha: wir entwickeln sofort Vorstellungen und impulsive Bemühungen, wie alles besser sein könnte – das muss weg, das soll her, ich sollte anders werden.
Wir finden einen anderen Umgang mit diesem Kreislauf, wenn wir lernen, auch die Unvollkommenheiten und die „Reibung des Lebens“ anzunehmen. Anstatt uns ständig zwischen Wollen und Nicht-Wollen zu bewegen entsteht dann ein Raum, in dem wir auf das Leben antworten können – ohne impulsiv reagieren zu müssen.
Mini-Übung: “Raum schaffen”
Erinnere dich an einen Moment, in dem es dir eng geworden ist um etwas – in dem du etwas unbedingt wolltest, in dem eine Frage oder ein Problem deinen ganzen inneren Raum eingenommen haben.
Spüre, wie sich dieses Festhalten auch in deinem Körper zeigt und sich vielleicht deine Haltung und dein Atem verändert.
Nimm nun bewusst war, was “auch” da ist. Versuche nicht das Festhalten aufzulösen oder die Aufmerksamkeit mit Druck auf etwas anderes zu legen. Stattdessen kannst du im Stillen nach innen sprechen: “Das ist da. UND dann ist da auch…” und nimm für einen Atemzug etwas wahr, was du unmittelbar sehen, hören, fühlen, riechen oder berühren kannst.
Beobachte, wie sich deine Haltung über die Zeit hinweg ändert.
Reflexionsfragen: Sich mit tanha vertraut machen
- Wann wird es dir eng um ein Thema, eine Frage, ein Problem? Wie fühlt sich das an?
- Was verlierst du in solchen Momenten aus den Augen? Welche Werte, Betrachtungsweisen, Alternativen oder anderen Bedürfnisse gehen verloren, wenn sich Herz und Geist so stark fokussieren?
- Woran könntest du das nächste Mal ein solches Festhalten oder Eng werden erkennen? Wie würdest du gerne an diese innere Dynamik herantreten?



