Definition
AnattaAnatta siehe Nicht-Selbst > Mehr > (Nicht-Selbst) ist ein Konzept des BuddhismusIm allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Buddhismus die gesamte Lehrtradition (Texte, Lehrer), Praxis und Rituale der buddhistischen Lehre und Ausübung in den jeweiligen K... Mehr >, das besagt, dass es kein unveränderliches oder unabhängiges SelbstDas Selbst oder Ego ist die komplexe Funktion des Geistes, die dazu dient unseren Alltag zu strukturieren und ordnen. Es ist aus buddhistischer Sicht an der Entstehung von Leiden b... Mehr > gibt. Diese Aussage steht im Kontrast zur Vorstellung eines unveränderlichen, ewigen und unzerstörbaren Selbst (Atman), ein Konzept, das in der indischen Philosophie zu Zeiten des Buddhas gängig war, oder auch im Kontrast zum christlichen Konzept der Seele.
Übersetzung und Wortherkunft
- PaliPali ist eine indische Sprache, die heute nicht mehr gesprochen wird. Ob Pali jemals eine gesprochene Sprache war, ist unbekannt. Es ist die Schriftsprache in der die frühesten bu... Mehr >: Anatta
- SanskritSanskrit ist eine altindische Sprache der Veden, einer Sammlung religiöser mündlicher Überlieferungen im Hinduismus, die bis in 15. Jhd. vor Chr. zurückreicht. Sanskrit ist die... Mehr >: Anatmam
- Übersetzung: Nicht-Selbst,
- Etymologie: Der Begriff setzt sich aus an- (nicht) und atta (Selbst, Seele) zusammen und bedeutet wörtlich “Nicht Selbst”.
- Synonyme: Leere des Selbst, Nicht-Seele
Beschreibung und Bedeutung
Anatta ist eine der tiefgründigsten und herausforderndsten Lehren des Buddhismus. Sie besagt, dass alle Phänomene, einschließlich dessen, was wir als Identität oder “Ich, mich und mein” wahrnehmen, bedingt und veränderlich sind, da sie abhängig sind von veränderlichen inneren und äußeren Faktoren. Der menschliche Geist neigt dazu, eine Wahrnehmung von Selbst zu schaffen, das sich in Bezug zum Erleben setzt (Subjekt – Objekt Verhältnis)., Zum Beispiel, wenn wir die Annahme treffen, “so bin ich” oder “das ist meins” oder “ich bin Teil von” oder “ich bin getrennt von” etwas. Diese Dynamik der Selbstreferenz entsteht im Zusammenspiel mit den fünf Erlebensaspekten, den KhandasKhandha (Pali; skkandha in Sanskrit) bedeutet wörtlich Anhäufung und wird oft auch mit dem Begriff Daseinsgruppen oder Aggregaten des Anhaftens übersetzt. In einem allgemeinen S... Mehr > von Form, hedonistischer Färbung (VedanaVedanā (Pāli; Gefühl) bezeichnet den "Gefühlston", "Gefühlstönung" oder "Gefühlsfärbung" (feeling tone), die jede unserer (Sinnes-) Erfahrungen begleiten. Diese meist unbem... Mehr >), Wahrnehmung, Mustern und Impulsen (Sankharas) sowie Bewusstsein.
Anatta findet auch als eines der drei sogenannten Erlebensmerkmale (TilakkhanaTilakkhana (Pali) bezeichnet die drei Daseinsmerkmale Unbeständigkeit oder Vergänglichkeit (anicca), Leiden oder Unzufriedenheit (dukkha) und Nicht-Selbst (anatta). Siehe Drei ... Mehr >), neben AniccaSiehe Vergänglichkeit > Mehr > (Veränderlichkeit) und DukkhaDukkha (Pali), meist übersetzt mit Leiden, steht für all die schwierigen und unvermeidbaren Aspekte unseres Lebens: Geburt, Alter, Krankheit, Tod, Trennung von denen die man lieb... Mehr > (Unzufriedenstellendheit). Wie die anderen beiden, so ist auch Anatta eine Perspektive, die dabei helfen kann ReaktivitätReaktivität im buddhistischen Sinne bezeichnet gewohnheitsmäßige, quasi-automatisch ablaufende Reaktionen, die das Leben in uns hervorruft, wenn wir unreflektiert, unbewusst ein... Mehr > (TanhaTaṇhā (Pali) ist ein zentraler Begriff zum Verständnis der Vier Aufgaben (Vier edle Wahrheiten) und bedeutet Begehren, Verlangen, Reaktivität. Taṇhā steht für die unzähl... Mehr >) zu reduzieren und dadurch Leid, Stress und Druck (DukkhaDukkha (Pali), meist übersetzt mit Leiden, steht für all die schwierigen und unvermeidbaren Aspekte unseres Lebens: Geburt, Alter, Krankheit, Tod, Trennung von denen die man lieb... Mehr >) zu verringern.
Anatta im Säkularen BuddhismusSäkularer Buddhismus bezeichnet eine westliche Form des Buddhismus, der die frühen Quellen des Buddha als wichtig erachtet, auf dogmatische, metaphysische Glaubensinhalte verzich... Mehr >
Im Säkularen Buddhismus wird Anatta als eine Perspektive auf die Natur des Selbst betrachtet. Moderne Neurowissenschaften unterstützen die Idee, dass unser „Ich-Gefühl“ eine Konstruktion ist, die aus wechselnden mentalen Prozessen besteht. Diese Erkenntnis kann helfen, ein flexibleres und mitfühlenderes Selbst- und Fremdverständnis zu entwickeln.
Anatta in TheravadaTheravada (Pāli, Schule der Ältesten) ist die einzige der frühen buddhistischen Schulen, die bis heute überdauert hat. Der alte Begriff Hinayana (kleines Fahrzeug) für den The... Mehr > und MahayanaMahayana (Sanskrit, großes Fahrzeug) bezeichnet eine breite und vielfältige Bewegung in der Geschichte des Buddhismus, die viele Schulen in einer weitreichenden Neuinterpretation... Mehr >
Im Theravada-Buddhismus ist Anatta eine fundamentale Erkenntnis, die in der Vipassana-Meditation entsteht. Sie gibt direkte Einsicht in die Nicht-Existenz eines soliden Selbst und dies wiederum führt zu einer Verringerung oder gar Überwindung von Leiden.
Im Mahayana-Buddhismus steht Anatta im Zusammenhang mit der Lehre von SunnataSunnata (Pali) bzw. sunyata (Sanskrit) wird in der Regel mit Leerheit übersetzt. Leerheit bzw. sunnata bezieht sich auf die Leerheit aller Dinge und Phänomene, die als "substanzl... Mehr > (Leerheit). Hier wird nicht nur das persönliche Selbst als Illusion betrachtet, sondern auch alle weiteren Phänomene bzw. Erlebnisse.
Bezug zu westlichen Konzepten
Die Lehre von Anatta weist Parallelen zu modernen psychologischen und philosophischen Theorien auf, insbesondere zu Konstruktionen des Selbst in der Kognitionswissenschaft und der Existenzphilosophie. Sie ähnelt auch postmodernen Konzepten der Identitätsdekonstruktion.
Bezug zur täglichen Praxis und ethischem Leben
Die Perspektive von Anatta kann dabei helfen, den Druck, die Unruhe und die Enge, die um eine Wahrnehmung von “Ich, mich und mein” entsteht, zu erkennen und zu reduzieren. Wir können im Alltag dank der AchtsamkeitDefinition Sati (Achtsamkeit) ist eine dem Menschen angeborene Fähigkeit, die es erlaubt sich etwas zu vergegenwärtigen bzw. präsent zu machen. Sie hilft zum Beispiel dabei den ... Mehr > wahrnehmen, wann uns etwas persönlich trifft, wann unsere Konzepte von Selbstwert oder Selbstsicherheit angegriffen werden und wie wir darauf reagieren. Ebenso können wir wahrnehmen, wie wir immer wieder versuchen, bestimmte Identitäten aufzubauen und andere abzulegen oder aber auch versuchen das Bild, das sich andere von uns machen, zu beeinflussen.
Kurze Praxis: Erforschung des Selbstbildes
- Nimm dir einen Tag Zeit für die Erkundung deines Selbstbildes. Nutze dafür deine Erlebnisse im Alltag.
- Halte immer wieder einmal inne und frage dich: Wer bin ich gerade? Was macht mich gerade aus? Wie würde ich mich gerade beschreiben und welche Charakteristiken dabei hervorheben? Was ist für mich gerade bedeutungsvoll? Wovon grenze ich mich ab? Welche Rolle und Identität habe ich gerade inne?
- Dann beobachte, wie sich diese Beschreibung deiner Persona bei den nächsten Malen, an denen du dir diese Fragen stellst, verändert.
- Reflektiere den Tag am Abend und betrachte, wie sich die verschiedenen Faktoren über den Tag hinweg verändert haben. Welche Rückschlüsse und Einsichten kannst du aus dieser Praxis ziehen?
Suttas zum Thema Anatta
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Anattalakkhana SuttaMit dem Begriff Suttas (Pali) bzw. Sutras (Sanskrit) werden die Lehrreden des Gotama Buddha bezeichnet. Die Namen der Suttas zeigen oft, an wen die Lehrrede gerichtet war und was s... Mehr > (SN 22.59)
Der BuddhaDefinition Buddha ist ein Titel für jemanden, der vollständige Erkenntnis über die Natur und die Dynamiken des Lebens erlangt hat und frei von Unwissenheit und Leiden (Dukkha) i... Mehr > erklärt die Natur des Nicht-Selbst anhand der fünf Kandhas. -
Alagaddupama Sutta (MN 22)
Der Buddha widerlegt falsche Ansichten über das Selbst und betont die Notwendigkeit, Reaktivität (TanhaTaṇhā (Pali) ist ein zentraler Begriff zum Verständnis der Vier Aufgaben (Vier edle Wahrheiten) und bedeutet Begehren, Verlangen, Reaktivität. Taṇhā steht für die unzähl... Mehr >) zu überwinden.
Weitere Quellen
- Analayo: Compassion and Emptiness in Early Buddhist Meditation. Windhorse Publications, 2015, ISBN: 978-1909314559
- Rob Burbea: Seeing That Frees: Meditations on Emptiness and Dependent Arising. Hermes Amara Publications, 2014, ASIN: B016L9XRN0
- Guy Armstrong: Emptiness: A Practical Guide for Meditators. Wisdom Publications, 2018, ISBN: 978-1614295266