Karuna

Definition

Karuna (Pali: karuṇā; Sanskrit: karuṇa) bezeichnet im Buddhismus eine aktive, trainierbare Haltung des Mitgefühls, die das Leid anderer klar wahrnimmt und den entschiedenen Impuls enthält, es zu lindern, ohne in Mitleid, Erschöpfung oder Überforderung zu kippen. Sie gehört zu den vier Brahmavihāras [Herzensqualitäten] und wirkt im Zusammenspiel mit Weisheit und Gleichmut als ethische, diesseitig überprüfbare Kompetenz, die Beziehungen heilt, Kooperation fördert und reaktives Verhalten in fürsorgliches Handeln verwandelt.

Übersetzung und Wortherkunft

Beschreibung und Bedeutung

Karuna ist im Pfad des Buddha eine Kernfähigkeit, die Wahrnehmung, Absicht und Handlung integriert: Leid wird nüchtern erkannt, die innere Bereitschaft zur Linderung wird kultiviert und als konkrete, angemessene Tat umgesetzt. In diesem Sinne ist Mitgefühl weder Sentimentalität noch Selbstaufgabe, sondern eine funktionale Ethik, die an Folgen gemessen wird: Was verringert Leid und fördert Verbundenheit und Autonomie? So verbindet karuṇā Achtsamkeit, rechte Absicht, Rede und Handlung des Achtfachen Pfades mit den anderen Brahmavihāras und der Einsicht in wechselseitige Bedingtheit.

Aus säkular-buddhistischer Sicht beschreibt Karuna beobachtbare Lern- und Regulierungsprozesse: Aufmerksamkeitslenkung, Perspektivübernahme, Emotionsregulation und Handlungsbereitschaft werden trainiert, wodurch reaktives Meiden oder Aggression abnehmen und prosoziale Muster stabiler werden. Der nahe Feind ist Mitleid als herablassendes oder selbstzentriertes Mitleiden; der ferne Feind ist Grausamkeit oder Gleichgültigkeit. Reifes Mitgefühl bleibt handlungsfähig, grenzt sich, bezieht Kontexte ein und wird von Weisheit und Gleichmut getragen, sodass Hilfe wirksam, nachhaltig und beiderseits respektvoll bleibt.

Säkularer Buddhismus

Im säkularen Buddhismus wird karuṇā als erfahrungsnahes, trainierbares Bündel aus Empathie, Klarheit, Fürsorge und Verantwortung verstanden, das in konkreten Situationen getestet und verfeinert wird. Leitfragen lauten: Was wird gerade erlebt? Was wäre hilfreich? Welche kleinen, realistischen Schritte lindern Leid jetzt? So wird Mitgefühl zur Kulturtechnik der Fürsorge in Familie, Arbeit und Gesellschaft, unterstützt durch Achtsamkeit, Werteklärung, Feedback und Reparaturbereitschaft.

Theravada und Mahayana

Theravāda beschreibt karuṇā als einen der vier unermeßlichen Verweilzustände, kultiviert durch karuṇā-bhāvanā, oft als Strahlübung in alle Richtungen, und verankert sie in Ethik, Sammlung und Einsicht. Mahāyāna betont mahākaruṇā im Bodhisattva-Ideal: Mitgefühl, das alle Wesen umfasst und mit Weisheit der Leerheit verbunden ist. Im Tibetischen Buddhismus (Vajrayāna) werden Methoden wie Tonglen [Geben und Nehmen], Lojong [Geistestraining] und Sādhanas von Avalokiteśvara (Chenrezig) praktiziert, um Mitgefühl als mutige, klare Tatkraft zu verkörpern.

Bezüge zu westlichen Konzepten

Aristotelische Tugendethik versteht Karuna als habituelle, durch Praxis geformte Haltung, während die Stoiker mit oikeiosis eine weite Sorgegemeinschaft beschreiben, die an Achtsamkeit für das Kontrollierbare anknüpft. Kants Fokus auf Motivation spiegelt die Bedeutung von Absicht, während Pragmatismus und Care-Ethik Wirksamkeit und Beziehung priorisieren. Psychologie und Neurowissenschaften modellieren Mitgefühl als trainierbare Fähigkeit aus Empathie, kognitiver Neubewertung, Emotionsregulation und prosozialer Motivation; Programme wie achtsamkeits- und mitgefühlsbasierte Trainings belegen Effekte auf Stressreduktion, Kooperation und prosoziales Verhalten.

Bezug zu Praxis und Ethik

Im Alltag heißt Karuna, Leid ohne Abwehr zu sehen, die eigene Handlungsfähigkeit zu prüfen und passende, oft kleine Schritte zu setzen: zuhören, Tempo herausnehmen, Grenzen respektieren, Ressourcen teilen, Strukturen verbessern. Beruflich zeigt sich Mitgefühl in fairen Prozessen, psychologischer Sicherheit und verantwortlicher Führung; privat in Geduld, klarer Sprache und Fürsorge, die Selbstmitgefühl einschließt. Meditativ unterstützen karuṇā-bhāvanā, Metta, Atemachtsamkeit und reflektierende Praxis eine stabile, warme Präsenz, die hilfreich bleibt, auch wenn Lösungen Zeit brauchen.

Suttas zum Thema des Begriffs

Weitere Quellen

Links zu Enzyklopädien

Verwandte Begriffe:
Mitgefühl, Empathie, Fürsorge
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