Nirvana (Nibbana auf Pali) ist ein oft missverstandener Begriff. Das aus dem Sanskrit stammende Wort bezeichnet eine Erfahrung, frei von Reaktivität und Konditionierung zu sein und zu dann ethisch handeln zu können. Sie zeichnet sich aus durch die Abwesenheit von Verlangen, Hass oder Unwissen – also einem Geisteszustand tiefer Klarheit, Offenheit, Kreativität und Gelassenheit.
Bedeutung von Nirvana im säkularen Buddhismus
Für säkulare Buddhisten ist es ziemlich unerheblich, ob die Behauptungen «Leben ist Leiden», «Verlangen ist der Ursprung von Leiden», «nibbāna ist das Ende von Leiden», oder «der edle achtfache Pfad führt zum Ende des Leiden» wahr sind oder nicht. Das Ziel der eigenen Praxis besteht nicht darin, solche altehrwürdigen Dogmen zu bestätigen oder zu widerlegen, sondern in einer anderen Weise damit umzugehen, was sich in jedem Moment abspielt. Wenn Leiden in jemandes Leben vorkommt – ob das der infolge von Covid passiert, oder weil man nicht den Job bekommt, den man wollte –versucht man es vollständig zu erkennen, anstatt es abzulehnen oder zu verleugnen. Anstatt sich mit Fantasien oder Sorgen abzulenken, wird die Aufmerksamkeit ruhig auf die gefühlte Empfindung dessen gerichtet, was geschieht. Sobald diese Aufgabe ausgeführt wird, wird erkannt, wie Reaktionen darauf entstehen und wie sich ein Raum öffnet, aus dem heraus nicht mehr automatisch reagiert wird. Diese Momente, die mit unermüdlicher Übung häufiger und länger werden, sind Nirvana.
Die Erfahrung von Nirvana markiert einen Wendepunkt im Leben eines Individuums, nicht ein endgültiges und unveränderliches Ziel. Nach der Erfahrung weiß die Person, dass sie frei ist, nicht den Impulsen folgend zu handeln, die als natürliche Reaktion auf eine bestimmte Situation aufsteigen. Ob man sich entscheidet, Impulsen zu folgen oder nicht, steht auf einem anderen Blatt.
Der Buddha hat dies selbst so formuliert: „Da hat ein Bhikkhu / Übender vernommen, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind. Wenn ein Bhikkhu vernommen hat, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind, erkennt er alle Dinge unmittelbar; indem er alle Dinge unmittelbar erkennt, durchschaut er alle Dinge vollständig; indem er alle Dinge vollständig durchschaut, verweilt er in der Betrachtung der Vergänglichkeit von Gefühl; was für ein Gefühl er auch immer empfinden mag, ob angenehm oder schmerzhaft oder weder schmerzhaft noch angenehm; er betrachtet die Lossagung, betrachtet das Aufhören, betrachtet das Loslassen. Indem er so betrachtet, haftet er an nichts in der Welt an. Wenn er nicht anhaftet, ist er nicht aufgeregt. Wenn er nicht aufgeregt ist, erlangt er persönlich Nibbāna.“ (MN 37, Die kürzere Lehrrede über die Vernichtung des Begehrens)
Bedeutung von Nirvana im traditionellen Buddhismus
Im traditionellen Buddhismus wird Nirvana oft als höchstes und letztes Endziel im Buddhismus betrachtet. Darunter wird dann eine letztendliche, überweltliche Realität verstanden, insbesondere das Ende von Samsara, dem Kreislauf der Wiedergeburten.
Diese Erlösungsziel wird auch von den Hindus und Jainas geteilt. In allen diesen indischen Traditionen erlangen Adepten Erlösung oder Befreiung dadurch, dass sie den Mechanismus zu Ende bringen, welcher den Kreislauf von Geburt und Tod aufrechterhält, wodurch sie das «Todlose» (Buddhismus) oder die «Unsterblichkeit» (Hinduismus) erreichen – obgleich beide Begriffe eine Übersetzung des gleichen Wortes in Pali/Sanskrit sind: amata/amṛta. Traditionller Buddhismus, Hinduismus und Jainismus unterscheiden sich bloß in ihren dogmatischen, meditativen und ethischen Strategien, die sie anwenden, um ans gleiche Ziel zu gelangen.
Der Grund, dass Menschen diese Glaubensvorstellungen nicht mehr akzeptieren können, liegt nicht notwendigerweise darin, dass sie diese als falsch zurückweisen, sondern weil solche Vorstellungen zu sehr von allem übrigen abweichen, was sie aus ihrer eigenen Erfahrung über ihre eigene Natur und über die Welt wissen und glauben. Diese Glaubensvorstellungen funktionieren deshalb nicht mehr. Es sind metaphysische Glaubenssätze, die (wie der Glaube an Gott) weder überzeugend bewiesen noch widerlegt werden können. Man muss sie auf gut Glauben annehmen, oder baut auf die eigene Erkenntnisfähigkeit und Vernunft. Letztlich geht es nicht um Wahrheit, sondern einen Weg, der uns als verkörperte und sterbliche Wesen ein ethisches und authentisches Leben ermöglicht.