Parinna

Definition

Pariññā (Pali; Sanskrit: parijñā) bedeutet „vollständiges Verstehen“ und bezeichnet die praktische Einsicht, ein Phänomen so zu durchdringen, dass seine Entstehung, Funktion und Beendigung klar werden. Im Kontext der Vier Edlen Wahrheiten heißt das: dukkha (Unzulänglichkeit/Leid) ist „vollständig zu verstehen“ – nicht theoretisch, sondern erfahrungsnah im eigenen Erleben. Pariññā führt zu De‑Identifikation, klärt Handlungsmöglichkeiten und stärkt eine Ethik, die Leid reduziert und Fürsorge vertieft.

Übersetzung und Wortherkunft

Beschreibung und Bedeutung

Pariññā ist eine Handlungs‑ und Erkenntniskompetenz: Ein Phänomen (z. B. Ärger, Suchtimpuls, Grübelschleife) wird so erkannt, dass Bedingungen, Wirkungen und der Weg des Aufhörens durchschaubar werden. In den Vier Edlen Wahrheiten entspricht das den Aufgaben: dukkha ist vollständig zu verstehen (pariññeyya), sein Ursprung (taṇhā) ist aufzugeben (pahātabba), sein Aufhören ist zu verwirklichen (sacchikātabba), der Pfad ist zu entwickeln (bhāvetabba). Praktisch verbindet pariññā Achtsamkeit (sati), Sammlung (samādhi) und Weisheit (paññā): Wahrnehmen – Unterscheiden – Aufhören lassen.

Klassisch werden drei Modi unterschieden. Ñāta‑pariññā ist das präzise Erkennen: Was ist da (Körper, Gefühlston, Wahrnehmung, Impuls, Bewusstsein)? Tīraṇa‑pariññā ist das Analysieren der Dynamik: Welche Bedingungen verstärken/lockern es (z. B. Trigger, Bewertungen, soziale Kontexte)? Pahāna‑pariññā ist das aufgebende Verstehen: Das Muster trocknet aus, weil es nicht mehr gefüttert wird; hilfreiche Alternativen werden gestärkt. So ist pariññā eine durch Übung erlernbare „Durchschau‑Praxis“, die Leiden funktional verringert und Verantwortung fördert.

Säkularer Buddhismus

Im Säkularen Buddhismus wird pariññā als überprüfbare Lernschleife gelesen: beobachten, benennen, verstehen, unterbrechen, ersetzen, stabilisieren. Dukkha wird nicht metaphysisch erklärt, sondern konditional bearbeitet: Welche Reize, Bewertungen, Gewohnheiten nähren es – und welche kleinen Schritte lassen es enden? Pariññā zielt auf praktische Wirksamkeit: weniger Eskalation, mehr Klarheit, faire Sprache, Reparaturbereitschaft und kooperative Strukturen.

Theravada und Mahayana

Theravāda verankert pariññā explizit bei der ersten Edlen Wahrheit (dukkha‑pariññā) und systematisiert die drei Formen (ñāta, tīraṇa, pahāna) in Verbindung mit Satipaṭṭhāna, Aggregat‑Analyse und rechter Anstrengung. Mahāyāna gebraucht parijñā seltener als Leitbegriff, betont jedoch prajñā (Weisheit): das Durchschauen von Leerheit (śūnyatā) als radikaler Relationalität, wodurch Fixierungen sich lösen. Funktional entspricht dies dem Ziel von pariññā: Bedingungen erkennen, Zuschreibungen lockern, heilsam handeln – oft ergänzt durch upāya (geschickte Mittel) und das Bodhisattva‑Ethos.

Bezüge zu westlichen Konzepten

Pariññā erinnert an Aristoteles’ phronēsis: situationskluge Urteilskraft, die Ursachen, Kontexte und Folgen abwägt. Mit dem Pragmatismus teilt sie den Wahrheitsmaßstab „Bewährung im Handeln“: Gültig ist, was Leid verlässlich senkt und Kooperation stärkt. Phänomenologie und Enaktivismus (Merleau‑Ponty, Varela) liefern methodische Parallelen: Erkennen als leiblich‑relationaler Vollzug, der durch Aufmerksamkeit und Experiment modulierbar ist. In Psychologie/Neurowissenschaft entspricht pariññā der Kombination aus Metakognition, Emotionsregulation und Umkonditionierung (Extinktion, Re‑Konditionierung), die reaktive Schleifen austrocknet und prosoziale Alternativen stabilisiert. System‑/Komplexitätsdenken erklärt, wie kleine Eingriffe Muster kippen – der operative Kern von „vollständigem Verstehen“.

Bezug zu Praxis und ethischem Leben

Pariññā wird im Alltag geübt, wenn Erleben in drei Schritten geführt wird: benennen (Was ist da?), verstehen (Wie wirkt es? Wodurch genährt?), aufgeben/ersetzen (Welche Option verringert Leid hier und jetzt?). Das gilt für Kommunikation (klare, freundliche Bitten statt Zuschreibungen), Konsum (Reibung gegen Impulskäufe), digitale Gewohnheiten (Benachrichtigungen begrenzen) oder Leitung (Transparenz, Feedback‑Schleifen). Meditativ stützen Atemachtsamkeit, vedanā‑Zentrierung, „Labeling“ und Einsichtsreflexion die drei Modi der pariññā – bis das Muster spürbar an Zwang verliert und Fürsorge verlässlicher wird.

Suttas zum Thema des Begriffs

Weitere Quellen

Links zu Enzyklopädien

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