Die Kunst des Wartens entdecken– Die Bedeutung von Geduld und Ungeduld im Buddhismus

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Von Buddhastiftung

Seit der Corona-Pandemie ist das Warten wieder als ein zentraler und unvermeidlicher Teil des Lebens in unser Bewusstsein gerückt. In unserer schnelllebigen Welt hatten wir uns daran gewöhnt, dass vieles nur einen Mausklick entfernt ist. Aber unabhängig davon, ob wir in einer Schlange stehen, auf eine Antwort warten oder ein bestimmtes Ergebnis erwarten, Warten und Ungeduld sind oft Geschwister.

Aus buddhistischer Sicht wird das Warten jedoch nicht als Hindernis, sondern als Chance für Wachstum und die Entwicklung von Weisheit gesehen. In diesem Beitrag beleuchten wir das Warten aus verschiedenen Perspektiven. Wir versuchen das Warten einmal ganz anders zu betrachten, als Möglichkeit sich in Kunst der Geduld und des Gleichmuts zu üben.

“Zuerst wartete ich langsam, dann immer schneller und schneller“ *

Karl Valentin, dt. Komiker, 1881-1948

Warten – nur vergeudete Zeit?

Warten ist eine häufige Erfahrung allen Lebens auf diesem Planeten. Pflanzen warten auf die richtigen äußeren Bedingungen, bevor sie ihre Blüten erblühen lassen. Insekten und Tiere warten auf Beute, Menschen warten auf Züge, die „grosse Liebe“, eine kreative Idee oder auf die Besserung einer Krankheit. Alle warten, aber unsere Reaktionen darauf können sehr unterschiedlich sein. Manche empfinden das Warten als frustrierend und stressig und werden unruhig, gereizt und ungeduldig (dukkha), während andere es mit einem Gefühl der Ruhe angehen (upekkha). Wenn wir gezwungen sind zu warten, z.B. in einem Stau oder einer Schlange vor einer Kasse, beginnen wir oft mit etwas zu beschäftigen, um uns vor der unangenehmen Erfahrung des Wartens abzulenken; wir checken das Smartphone, wir verlieren uns in Gedanken oder blaffen jemand an.

Der Buddhismus lädt uns dazu ein, das Wesen des Wartens und unsere Reaktionen darauf mit Achtsamkeit zu erforschen. Er betont die Vergänglichkeit oder Nicht-Dauerhaftigkeit aller Dinge (annica), auch der Momente des Wartens. Indem wir die Vergänglichkeit unserer (unangenehmen) Warte-Erfahrungen erkennen, können wir Geduld kultivieren und den gegenwärtigen Moment annehmen, wie er ist, ohne von der Ungeduld gefangen genommen zu werden. In diesem Sinne sind Zeiten des Wartens freie Zeit für eine bewusste Achtsamkeitspraxis.

Ausdauernde Geduld ist die wichtigste Tugend (eines ethischen Lebens)

Dhammapada 184 **

Geduld ist mehr als passives Ausharren

Im Buddhismus gilt Geduld als Tugend und als eine wesentliche Eigenschaft für ein ethisches Leben, die es zu üben gilt. Um Geduld zu kultivieren, müssen wir ein unverstelltes Verständnis für unseren eigenen Geist und unsere Gefühle entwickeln. Indem wir unsere Ungeduld und die ihr zugrunde liegenden Ursachen beobachten, können wir Einsicht in unsere Wünsche, Sehnsüchte und Abneigungen gewinnen. Wir lernen vielleicht, wie sehr wir an Dingen oder Menschen hängen, auf die wir warten oder wie wenig wir das Leben unter Kontrolle haben, wenn wir oder Angehörige plötzlich krank sind oder pflegebedürftig.

Der Buddhismus lehrt, dass wahre Geduld mehr ist als bloßes Ausharren; sie ist eine aktive Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Moment, eine Bereitschaft, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, und eine mitfühlende Reaktion auf das Leiden anderer.

Dies kommt in der zweiten Aufgabe von Buddhas Lehre zum Ausdruck, auf unangenehme Erfahrungen nicht sofort und automatisch zu regieren, sondern „nicht reagieren“, „sein lassen“ wie es ist“ oder „loslassen“. In diesem Sinne ist die Übung von Geduld eine wichtige Tugend (**), da sie verhindert, unangemessen oder verletzend auf unangenehme Erfahrungen reflexartig zu reagieren.

Die Kraft des Gleichmuts

Gleichmut (upekkha) ergänzt die Praxis der Geduld im Angesicht des Wartens. Gleichmut bezeichnet einen Zustand geistiger Ruhe und Stabilität, in dem wir in der Lage sind, inmitten der Höhen und Tiefen des Lebens Gleichgewicht und Gelassenheit zu bewahren. Es ist ein Zustand der Nicht-Reaktivität und des Nicht-Anhaftens, in dem wir nicht zulassen, dass äußere Umstände unser Leben aus der Bahn werfen. Dies gilt für unsere alltäglichen Geduldsproben, bei extremen Ereignissen gelingt dies wahrscheinlich nur wenigen.

Gleichmut ermöglicht es uns, den gegenwärtigen Moment vollständig zu akzeptieren, ohne Widerstand oder Urteil. Es ist die Fähigkeit, sowohl angenehmen als auch unangenehmen Erfahrungen Raum zu geben und zu erkennen, dass alle Dinge und Erfahrungen entstehen und wieder vergehen. Durch Gleichmut finden wir ein tiefes Gefühl der Akzeptanz und Gelassenheit inmitten des Wartens.

Im Zusammenhang mit dem Warten erlaubt uns die Kultivierung des Gleichmuts, zentriert und gelassen zu bleiben. Er ermöglicht es uns, die starke Identifikation mit Wünschen und Ergebnissen loszulassen, die oft zu Ungeduld führen. Zeit, in der wir „nichts“ oder „nichts sinnvolles“ getan haben, gilt vielen als vergeudete Zeit. Wir sehen oft nicht, wie sehr unsere Selbstwert davon abhängt, etwas produziert zu haben, beruflich, in der Freizeit, in Beziehungen. Dabei sagen Menschen, die uns nahestehen oft, dass das größte Geschenk, das wir ihnen machen können, unsere Anwesenheit und unsere Aufmerksamkeit ist.

Warten und die Praxis der Achtsamkeit

Im Mittelpunkt der Kultivierung von Geduld und Gleichmut im Buddhismus steht die Praxis der Achtsamkeit. Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment wertfrei wahrzunehmen und unsere Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen mit Neugier und Akzeptanz zu begegnen. Durch Achtsamkeit werden wir mit dem Entstehen und Vergehen von Erfahrungen vertraut, auch mit unseren Erfahrungen in den Momenten des Wartens.

Wenn wir dem Warten mit Achtsamkeit begegnen, werden wir uns der Ungeduld bewusst, die in uns aufsteigt. Wir beobachten die Unruhe, den Wunsch, dass die Dinge anders sein sollten, und den Widerstand gegen den gegenwärtigen Moment. Indem wir diese menschlichen, automatischen Reaktionen anerkennen, ohne sie zu verurteilen, schaffen wir Raum für einen mitfühlenderen und ausgeglicheneren Umgang mit den Zeiten des Wartens.

Achtsamkeit ermöglicht es uns auch, die Ursachen für unsere Ungeduld zu erforschen, wie z. B. Angst, ein Gefühl der Ohnmacht oder die Überzeugung, dass wir Anderen gegenüber bestimmte Ansprüche entwickelt haben. Durch die beständige Übung der Achtsamkeit können wir ein klareres Verständnis von uns selbst und unserer Beziehung zum Warten entwickeln.

Warten als achtsame buddhistische Praxis

Warten kann als eine Einladung zur Vertiefung unserer Praxis gesehen werden. Der Buddhismus ermutigt uns, die Momente des Wartens als Gelegenheit zur Selbstreflexion und Meditation zu nutzen und Tugenden wie Geduld und Gleichmut zu kultivieren zum Wohle von uns selbst als auch der Welt.

 

* https://www.projekt-gutenberg.org/valentin/brillant/chap021.html

** Freie deutsche Übersetzung durch BuddhaStiftung einer englischen Version des Dhammapada auf suttacentral.net, weiterführende 
Diskussion zur Übersetzung aus Pali

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