Spiritualität und Redlichkeit – Thomas Metzingers Forderung einer neuen Bewusstseinskultur

Thomas Metzinger bewusstseinkultur säkulare Spiritualität

Von Buddhastiftung

Bewusstseinskultur – Ein neues Leitbild für die planetare Krise?

Unsere Zeit ist gekennzeichnet von rasantem technologischem Fortschritt und komplexen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen geprägt.

In diesem Beitrag beleuchten wir die aktuellen Überlegungen und Forschungsarbeiten von Thomas Metzinger, einem Philosophen und Neurowissenschaftler, der an der Universität Mainz lehrt.

Thomas Metzingers 2023 erschienenes Buch “Bewusstseinskultur” (1) ist ein wichtiger Wegweiser durch diese turbulente Landschaft. Mit einer Mischung aus säkularen buddhistischen Prinzipien (z.B. Achtsamkeit, Mitgefühl), wissenschaftlichen Erkenntnissen und philosophischen Überlegungen lädt Metzinger uns ein, unseren Umgang mit dem Bewusstsein und dessen Auswirkungen auf unsere gemeinsame Zukunft neu zu überdenken.

Das Wesen des Bewusstseins

Im Mittelpunkt von Metzingers Erkundungen steht das Wesen des Bewusstseins selbst. Was bedeutet es, bewusst zu sein? Aus wissenschaftlicher Sicht bezeichnet Bewusstsein unsere subjektive Erfahrung der Welt – den inneren, qualitativen Zustand des Bewusstseins. Metzinger verbindet wissenschaftliche Strenge mit philosophischer Tiefe und fordert uns auf, Bewusstsein nicht nur als persönliche Erfahrung zu sehen, sondern als kollektive Ressource, die zum Wohle aller kultiviert und gepflegt werden kann.

Der Spiegel der Achtsamkeit

Thomas erklärt, dass Bewusstsein unsere innere Erfahrung ist – das Gefühl, lebendig und bewusst zu sein. Stell dir vor, du wärst der Regisseur deines eigenen Films, bei dem du sowohl hinter der Kamera stehst, als auch die Hauptfigur bist – so ähnlich sieht Metzinger das Bewusstsein. Er fordert uns auf, darüber nachzudenken, wie unser Gehirn diesen inneren Film erschafft, und legt nahe, dass das, was wir als unser “Selbst” erleben, nicht etwas Feststehendes ist, sondern eher eine Geschichte, die unser Gehirn uns erzählt. Diese Geschichte hilft uns, uns in der Welt zurechtzufinden, aber sie enthält nicht alles, was wir sind. Metzinger geht es nicht nur darum, das Bewusstsein als Konzept zu verstehen, sondern auch darum, wie wir dieses Verständnis nutzen können, um ein besseres Leben zu führen. Er sagt, dass wir, wenn wir die Funktionsweise unseres eigenen Bewusstseins kennenlernen, achtsamer und ethischer werden und eine tiefere Verbindung zu anderen Menschen spüren können.

In Anlehnung an säkulare buddhistische Praktiken unterstreicht Metzinger die Bedeutung der Achtsamkeit als Werkzeug zur Kultivierung des Bewusstseins. Achtsamkeit ist in diesem Zusammenhang nicht nur eine Technik zur individuellen Stressreduzierung oder persönlichen Erleuchtung, sondern ein radikaler Akt der kulturellen Transformation. Durch die Förderung eines achtsamen Bewusstseins für unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen können wir die Verbundenheit aller Lebewesen besser wahrnehmen und verantwortungsvoller mit unserer gemeinsamen Welt umgehen.

Praktische Philosophie und die Grundfragen der Ethik

Metzinger vertritt die Ansicht, dass mit einem „kultivierten“ Bewusstsein auch ein sog. ethischer Imperativ einhergeht: die Verantwortung, mit Mitgefühl und Weisheit zu handeln.

Er konfrontiert uns mit zentralen Fragen: “Was genau macht eine Handlung zu einer guten Handlung? Gibt es bestimmte Handlungsfolgen oder -ziele, gibt es Lebensformen, moralische Einstellungen oder Tugenden, die in sich selbst wertvoll sind? …Was macht eigentlich einen Zustand des Bewusstseins zu einem guten Zustand?“.(2)

Säkulare Spiritualität

In Thomas Metzingers Arbeit wird “Spiritualität” aus einer geerdeten Perspektive betrachtet. Er wendet sich von traditionellen religiösen Interpretationen ab und betrachtet Spiritualität stattdessen durch die Brille des Bewusstseins und der Selbsterkenntnis. Metzinger vertritt die Ansicht, dass Spiritualität zutiefst verstanden und erfahren werden kann, ohne sich auf übernatürliche Überzeugungen zu verlassen. Es geht darum, sich mit den tieferen Aspekten des Menschseins zu verbinden, mit unseren Gedanken, Gefühlen und dem Bewusstsein, lebendig zu sein. Er glaubt, dass wir durch die Erforschung unseres eigenen Bewusstseins – der inneren Abläufe unseres Geistes – ein Gefühl der Verbundenheit und des Friedens entdecken können, das viele mit spirituellen Erfahrungen in Verbindung bringen. Diese Art von Spiritualität hängt nicht von äußeren Autoritäten oder Doktrinen ab, sondern entsteht aus einem tiefen Verständnis von uns selbst und unserem Platz in der Welt. Metzingers Ansatz deckt sich mit säkularen buddhistischen Ideen und betont die Achtsamkeit und die ethischen Auswirkungen unseres Handelns. Er lädt uns ein, Spiritualität als eine Reise der Selbstfindung und des ethischen Lebens zu sehen, auf der wir achtsamer mit unseren Erfahrungen und dem Einfluss, den wir auf die Welt um uns herum haben, umgehen. So gesehen geht es bei der Spiritualität nicht darum, etwas außerhalb von uns zu suchen.

Mit säkularer Spiritualität gegen planetare Krise?

Interview am 23.4.2023 auf der Seite des SRF – 59 min

Mit säkularer Spiritualität gegen die planetare Krise Thomas Metzinger Interview

Die Rolle der Technologie

In einer faszinierenden Mischung aus Philosophie und Futurismus befasst sich Metzinger mit der Rolle der Technologie bei der Gestaltung unserer Bewusstseinskultur. Er warnt vor den potenziellen Gefahren einer ungezügelten technologischen Entwicklung, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz und der virtuellen Realität, die unsere Wahrnehmung verzerren und die gesellschaftlichen Gräben verschärfen könnten. Er betont aber auch das transformative Potenzial der Technologie, unsere kognitiven und emotionalen Fähigkeiten zu verbessern. Wichtig ist ihm dabei der achtsame Umgang mit technologischen Innovationen, der das Wohlergehen aller Lebewesen in den Mittelpunkt stellt.

Die Vision einer bewussten Gesellschaft

Letztlich ist Metzingers Vision einer bewussten Kultur sowohl ein Aufruf zum Handeln als auch ein Entwurf für eine mitfühlendere, bewusstere Gesellschaft. Er stellt sich eine Welt vor, in der jeder Einzelne in der Lage ist, sein Bewusstsein zu kultivieren, in der Gemeinschaften auf den Prinzipien der Achtsamkeit und eines ethischen Lebens aufgebaut sind und in der die Technologie dazu dient, unsere gemeinsame Menschlichkeit zu erhöhen, anstatt sie zu verringern.

Wege zur Kultivierung

Wie können wir also auf diese Vision hinarbeiten? Metzinger schlägt mehrere Wege vor:

Bildungsaufgabe Bewusstseinskultur: Integration von Achtsamkeit, Meditation und ethischem Denken und Handeln in die Lehrpläne, um den kommenden Generationen andere Möglichkeiten des Umgangs miteinander und der Welt ermöglichen
Technologisches Verantwortungsbewusstsein: Technologie so entwickeln und nutzen, dass sie unser kollektives Wohlergehen fördert und sich dabei an ethischen Grundsätzen orientiert.
Gemeinschaftliches Engagement: Netzwerke der Achtsamkeitspraxis und des ethischen Dialogs aufbauen, um das soziale Gefüge unserer Gemeinschaften zu stärken.
Politik: Für eine Politik eintreten, die die Werte einer bewussten Kultur widerspiegelt und Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Mitgefühl in den Vordergrund stellt.

Fazit: Wir müssen offen und aufrichtig sein!

Der aktuelle Zustand der Welt fordert von uns, Schaden zu begrenzen und klug mit Krisen umzugehen. Was wir dringend für mentale Stärke und politische Standhaftigkeit benötigen, sind intellektuelle Ehrlichkeit, Empathie und Mut zum Handeln, das von ethischer Achtsamkeit geleitet wird. Die Idee einer „Kultur des Bewusstseins“ stellt den Beginn einer neuen Diskussion dar.

Thomas Metzingers “Bewusstseinskultur” fordert uns auf, über die Grenzen unserer individuellen Erfahrungen hinauszublicken und aktiv eine Kultur zu gestalten, die unsere Werte und Bestrebungen widerspiegelt. Es geht um einen Weg, der zu einer Gesellschaft führt, die von tieferem Verständnis und größerem Mitgefühl geprägt ist. Wenn wir diese Ideale bewusst kultivieren und zu eigen machen, bereichern wir nicht nur unser eigenes Leben, sondern tragen auch zum Gedeihen aller Wesen bei, mit denen wir diesen kostbaren Planeten teilen.

Quellen

(1) Metzinger, Thomas. Bewusstseinskultur: Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise. Berlin Verlag, 2023.

Einen älteren Essay mit direktem Bezug zum Buchkapitel mit dem Titel „Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit“ steht hier zur Verfügung.

(2) Metzinger, Thomas. Bewusstseinskultur: Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise (S.66). eBook Berlin Verlag. Kindle-Version.

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